Emotionen pur: Romy Kasper (r.) fuhr unter Tränen ins Ziel. Ihre britische Teamkollegin, die olympische Silbermedaillengewinnerin Elizabeth Armitstead freute sich mit ihr. Foto: pr/boelsdolmans/Oliver Vogel

Die letzten Meter waren schwierig. Romy Kasper musste aufpassen, dass sie den Zielstrich überhaupt noch erkennt. "Ich bin am Ende nur noch unter Tränen gefahren", beschreibt sie aufgelöst die Sekunden ihres bisher größten Erfolges. Der Etappensieg beim bedeutendsten deutschen Etappenrennen der Frauen am Mittwoch weckt bei der 26-jährigen Forsterin alte Erinnerungen und große Emotionen.

"Endlich", sagt sie. Endlich habe es einmal für ganz vorn gereicht. Ansonsten ist die kämpferische Fahrerin in ihrem Team vor allem für die harte Arbeit verantwortlich, die Medaillen holen meist andere. Doch Romy Kasper war jetzt einfach mal dran. Vor gut zwei Wochen hatte sie zuletzt schon einmal Tränen vergossen – vor Enttäuschung. Bei der Deutschen Meisterschaft in Baunatal war sie fast das halbe Rennen allein vor dem Hauptfeld unterwegs gewesen, um dann kurz vorm Ziel noch geschnappt zu werden. Kasper erklärte da trotzig: "Lieber vorne sterben als hinten verstecken."

Mit dieser Maßgabe war sie nun auch bei der 2. Etappe der Thüringen-Rundfahrt unterwegs, dieses Mal mit Erfolg. Ganze 70 Kilometer war sie auf der Flucht, auf den letzten 40 Kilometern begleitet von der Neuseeländerin Reta Trotman. Da sah es kurz so aus, als ob die Forsterin ihrer Alleinfahrt wieder Tribut zollen müsst. Kurz nach dem Zusammenschluss mit Trotman geriet sie in Schwierigkeiten und fiel zurück. Doch die Kämpferin schaffte wieder den Anschluss und hängte ihre Konkurrentin noch vor der Zielgeraden ab.

So konnte sich bei ihrer Jubelfahrt ganz den Emotionen hingeben: "Mir ging so viel durch den Kopf. Ich habe an die harte Arbeit der vergangenen Wochen, Monate, ja sogar Jahre gedacht. So viele haben mich unterstützt. Meine Familie, die mir immer den Rücken gestärkt hat. Mein Verein, der PSV Forst, in dem ich groß geworden bin. Und jetzt mein holländisches Profi-Team Boels-Dolmans, in dem ich mich sehr wohl fühle", berichtet Romy Kasper.

Die Gedanken gehen zurück bis zu ihren Anfängen auf dem Rennrad. Der Zufall half damals mit: 1998 kam ein Vertreter des PSV Forst in die Schule und fragte, wer bei der Kleinen Friedensfahrt mitmachen möchte. Die damals Neunjährige wollte es mal probieren. Auf einem geborgten Rennrad gewann sie das Rennen und durfte zum Deutschlandfinale nach Erfurt. Auch dort wurde sie gleich auf Anhieb Zweite – der Startschuss für ihre Karriere. Und die Eltern halfen mit: Vater Roland fuhr sie zum Stützpunkttraining nach Cottbus, Mutter Marina wusch ihre Trikots.

Die Familie gehörte nun zu den ersten Gratulanten, danach stand das Telefon nicht mehr still. "Die Nacht war sehr kurz", berichtet Romy Kasper und freut sich über die vielen Glückwünsche: "Wahnsinn, wer sich alles gemeldet hat." Nun will die Forsterin sehen, wie weit sie es bei der Thüringen-Rundfahrt bis zur Schlussetappe am Sonntag noch schaffen kann. Ein Platz unter den ersten Zehn in der Gesamtwertung ist ihr Ziel. Und danach gibt es das große Rennen auf der Champs-Elysées in Paris. Am Schlusstag der Tour de France der Herren findet in diesem Jahr zum ersten Mal auch ein Damen-Rennen statt. Der Rundkurs auf dem Prachtboulevard soll künftig als weiterer Höhepunkt etabliert werden. Diese tolle Atmosphäre will Forsterin nicht verpassen. Sollten am Ende ein paar Freudentränen die Sicht etwas trüben, könnte sie das sicher verschmerzen.

Trixi Worrack (RK Endspurt Cottbus) wurde beim Zeitfahren am Donnerstag Dritte und ist damit nun Gesamt-Vierte. Stephanie Pohl (RSC Cottbus) landete auf Rang zwölf (Gesamt-Achte). Romy Kasper kam nach dem Soloritt vom Vortag auf Platz 32 ins Ziel. Sie ist nun Elfte.