LR berichtet: Die Kneipe wird zum modernen Club
Berlin: Eine Traditionsveranstaltung will sich neu erfinden: Das Berliner Sechstagerennen ging am Donnerstagabend im Velodrom mit vielen Neuerungen an den Start. Die neuen Inhaber kämpfen mit einem gründlich überarbeiteten Konzept um die Fans.
Natürlich wird auch in diesen sechs Tagen und Nächten wieder im Kreis gefahren – so wie bei den bisherigen Auflagen des traditionsreichen Berliner Sechstagerennens auch. Und dennoch ist die 106. Auflage, die am Donnerstagabend im Velodrom gestartet wurde, ein besonderes Experiment: für die neuen Veranstalter und auch für die Fans der ältesten Sixdays der Welt. Denn das Berliner Sechstagerennen will bis zum großen Finale am Dienstagabend nicht mehr und nicht weniger als den "Beginn einer neuen Ära" einleiten. So zumindest haben es die Veranstalter im Vorfeld angekündigt.
"Zuschauerfreundliche und kürzere Rennen, ein innovatives Entertainmentprogramm und neue Angebote im Velodrom für Fans, Familien und Selberfahrer sollen dem Bahnradsport weiteren Aufschwung verleihen", beschreibt der neue Geschäftsführer Valts Miltovics das reformierte Konzept der Berliner Sixdays.
Neue Konzepte kann die Branche gut gebrauchen. Denn sie tat sich in den vergangenen Jahren zunehmend schwerer, die Radsportfans unters Hallendach zu locken. Die ebenfalls traditionsreichen Veranstaltungen in Dortmund, Köln, Stuttgart, München und Frankfurt mussten aufgeben.
Übriggeblieben sind hierzu lande nur Bremen und Berlin. Vor allem die Sixdays in der Hauptstadt bekamen einen völlig neuen Anstrich. Berlin ist erstmals Teil einer internationalen Wettkampfserie. Neuer Inhaber ist die britische Madison Sports Group. "Die besten zwölf Teams und Frauen qualifizieren sich dann für das Finale auf Mallorca – mit der Six Day Serie ist uns ein großer Schritt in der Geschichte des Sechstagesports gelungen", so Geschäftsführer Miltovics.
Der 37-jährige Lette personifiziert den Neuanfang in Berlin. Miltovics ist seit April 2016 Geschäftsführer der Traditionsveranstaltung. Vorher arbeitete er für den Basketball-Weltverband als Eventmanager. Seine Aufgabe ist alles andere als einfach: Valts Miltovics soll dem Traditionsrennen wieder neuen Eventcharakter einhauchen. Und zwar soviel, dass die neuen Inhaber irgendwann auch Geld damit verdienen können.
Vorerst geht es jedoch erstmal ums Überleben. Mit Blick auf das Sterben vieler traditionsreichen Sixdays-Veranstaltungen betont Miltovics im Interview mit dem "Tagesspiegel": "Der Bahnradsport ist aber noch nicht tot. Wir sind überzeugt, dass wir ihm neues Leben einhauchen können. Er muss etwas moderner werden, dann haben Rennen wie das über hundert Jahre alte Berliner Sechstagerennen eine Chance."
Von den Details des neuen Konzepts konnten sich die Radsportfans erstmals am Donnerstagabend überzeugen. Ein Videowürfel unter dem Hallendach sorgt für zusätzliche Bilder und Perspektiven. Die Rennen sind kürzer, die Pausen dazwischen sind es auch. Auch die Bestuhlung im Innenraum wurde überarbeitet. Statt eines Biergarten-Charakters verströmt es dank hoher Hocker nun den Charakter einer Bar beziehungsweise eines Clubs.
Auch musikalisch gibt es neue Dinge auf die Ohren. Statt des Berliner Originals Frank Zander mit seiner Hymne "Nur nach Hause geh'n wir nicht" legt jetzt DJ Tomekk in den Pausen moderne Clubmusik auf.
Wie viel Modernisierung verträgt aber eine solche Traditionsveranstaltung? Schließlich will man zwar neue Fans hinzugewinnen, aber sein Stammpublikum nicht vergraulen. Trillerpfeifen, Stimmungslieder und Alkohol sind fester Bestandteil einer solchen Veranstaltung. Man respektiere die Tradition des Berliner Sechstagerennens, denke aber auch an dessen Zukunft, betont Geschäftsführer Miltovics im Tagesspiegel-Interview: "Sagen wir mal so: Die Sixdays verlieren nicht ihren Charakter, aber vielleicht etwas Kneipe." Der neue Biersponsor ist übrigens eine alkoholfreie Marke. Es werde aber natürlich auch weiterhin Bier mit Alkohol ausgeschenkt, versichert der Geschäftsführer. Aus Berlin berichtet Frank Noack