LR berichtet: "Die härteste Stunde meines Lebens"
Forst: Der Cottbuser Nico Heßlich (25) sorgte für dramatische Bilder bei der deutschen Meisterschaft der Steher in Forst. Der völlig ent kräftete Heßlich konnte sich bei der Siegerehrung kaum noch auf den Beinen halten. In der RUNDSCHAU spricht er über die Qualen bei seinem ersten Steher-Rennen.
"Die härteste Stunde meines Lebens" Grenzerfahrung: Nico Heßlich bestritt am Sonntag in Forst sein erstes Steher-Rennen und belegte sensationell Platz zwei. Mit der Medaille um den Hals ging der Cottbuser nach der Siegerehrung dann k.o. Foto: Frank Hammerschmidt
Nico Heßlich hat zwar bei Radsport-Veranstaltungen schon öfter auf dem Podium gestanden und dort dann die deutsche Nationalhymne gehört. So lang wie am Sonntag in Forst waren die gut zwei Minuten für den 25-jährigen Cottbuser aber vermutlich noch nie. Denn Heßlich konnte sich nach dem großen Finale der deutschen Stehermeisterschaft über eine Stunde kaum noch auf den Beinen halten. "Ich habe Schmerzen erlebt, wie ich sie bisher noch nicht kannte. Das war die härteste Stunde meines Lebens", sagt er.
Heßlich, der bei seinem Debüt in dieser Sportart sensationell auf Platz zwei hinter dem mittlerweile dreifachen Champion Stefan Schäfer fuhr, wankte auf dem Podest. Er schwankte. Während Schäfer und der drittplazierte Franz Schiewer bei der Nationalhymne mit einem Lächeln im Gesicht in Richtung schwarz-rot-goldener Flagge blickten, kniff Heßlich die Augen zusammen und schaute abwesend nach unten. Sein direkt neben ihm auf dem Podest stehender Schritt macher André Dippel hatte Mühe, den 1,92 Meter großen Athleten irgendwie auf den Beinen zu halten – zumindest bis zum Ende der Nationalhymne.
Danach wurden die Bilder noch ein Stück dramatischer. Während Schäfer und Schiewer auf dem obersten Treppchen zum obligatorischen Siegerfoto zusammenrückten, legte sich Nico Heßlich neben dem Podest der Länge nach auf den Rasen. Er war endgültig am Ende der Kräfte!
Sein Vater Lutz Heßlich – gleichzeitig Trainer, Mechaniker und Ratgeber – massierte die schmerzenden Oberschenkel. Die herbeigerufenen Sanitäter reichten Eisbeutel. Später stieg Heßlich dann sogar noch einmal aufs Rad – für die Ehrenrunde.
"Das war ich diesen tollen Fans in Forst einfach schuldig. Wenn du die Ehrenrunde nicht mehr schaffst, brauchst du diesen Sport nicht zu machen", findet Heßlich. Er räumt aber auch ehrlich ein: "Die Ehrenrunde war brutal, eine Grenzerfahrung." Am Ende musste er sich die letzten Meter um die Bahn schieben lassen.
Während Stefan Schäfer einen souveränen Erfolg einfuhr, war Heßlich am Wochenende in Forst der Sieger der Herzen. Bei seinem Steher-Debüt erntete der Cottbuser viel Lob für zwei überaus couragierte Auftritte. "Es ist erstaunlich, wie Nico Heßlich gefahren ist", lobte Steher-Bundestrainer Mario Vonhof schon nach dem Vorlauf. Dabei hatte sich Heßlich erst gut zwei Wochen vor den Titelkämpfen von seinem Schwager Marcel Möbus und PSV-Vize Frank Schneider – beide ehemalige Steher-Fahrer – zum Einstieg in dieses Metier überreden lassen. Der Zeitfahr-Spezialist Heßlich wusste zwar, dass er von der Kraft und der Ausdauer gute Voraussetzungen mitbringt. Trotzdem: Mit 70 Stundenkilometern hinter einem Motorrad hinterherzurasen, dazu die deutlich höhere Tritt frequenz als bei einem herkömmlichen Zeitfahren – Heßlich hatte auch viel Respekt vor dem nicht ungefährlichen Einstieg bei den Stehern. "Meine Familie hat im Vorfeld gesagt: ,Mach es lieber nicht.'"
Er machte es trotzdem. Am Tag nach der "härtesten Stunde" seines Lebens hatte Nico Heßlich zwar immer noch Schmerzen. Aber er durfte sich über die Nominierung für die Steher-EM im Oktober in Paris freuen. "Ich bin froh, dass in diesem Fall endlich nach rein sportlichen Kriterien entschieden wurde. Das war beim Bund Deutscher Radfahrer im Ausdauerbereich in der Vergangenheit nicht immer so." Für Heßlich ist es eine besondere Genugtuung nach den Qualen bei seinem ersten Steher-Rennen. Frank Noack